Beim Durchblättern des aktuellen Botens 151 fiel mir das Szenario Tidenstieg von Michael Masberg auf. Dies soll als Prolog zum kommenden Abenteuer Bahamuts Ruf dienen, welches die Ereignisse aus dem bekannten Abenteuer Blutige See fortführt. Nach einigem Lesen kam mir der Gedanke, das Szenario in einem Blogartikel mal genauer anzuschauen.
Disclaimer: Dieser Text enthält Kraftausdrücke wie Meister (Meister, der, – DSA-Spielleiter mit erweiterten Rechten) oder Helden (Held, der – Spielercharakter mit eingeschränkten Handlungsrechten und mit einem Minimum an Eigenmotivation und Charaktertiefe) im Übermaß, um dem Inhalt des Szenarios gerecht zu werden. Solltest du damit seelisch oder körperlich klar kommen, rate ich vom Weiterlesen dringend ab!
Für diejenigen, denen das Abenteuer nicht geläufig ist: Blutige See von Anton Weste erschien 20xx und schilderte den Kampf einer Heldengruppe auf mittelreichischer Seite um die Charyptoroth-Verseuchte „Blutige See“. Für damalige Verhältnisse war das Abenteuer bemerkenswert frei von klassischen Plotstrukturen, eher ein Szenariosammlung als ein typisches DSA-Abenteuer a la Taverneneinstieg, Spuren verfolgen und Bösewicht besiegen.
Die Ankündigung zu Bahamuts Ruf machte mich daher neugierig, zumal der Autor Michael Masberg zusammen mit Anton Weste erneut eine recht offene Kampagne in Blogbeiträgen bei Ulisses ankündigte.
Zum Abenteuer.
Durchgelesen – Ein Lesebericht:
Analog zu Zwarts Durchgeblättert-Videoreihe fange ich mal mit einer schriftlichen Variante des Prinzips an. Durchgelesen.
Kurzes Daumenkino. 6 Seiten, das ist nicht viel Platz, aber für ein Botenszenario eher die Norm. Naja, ist ja nur ein Prolog, von daher werden wohl auch keine großen Ereignisse darin vorkommen.
Das Szenario fängt im Kosch an und wird wohl auch eine Flussreise beinhalten. Nette Anlehnung an Drakensang – Am Fluss der Zeit. Da schaltet sich direkt das Kopfkino an, Nadoret und so. Eine Karte ist auch zu sehen.
Das Abenteuer
Ein Kurzüberblick über das Abenteuer. Sowas ist immer gut, schützt vor Entäuschungen. Aha, der Auftraggeber wird ein ehemaliger Gefährte Dexter Nemrods sein. Bei dem Namen zuckts bei mir schon mal. Ich mochte die KGIA nie und fand sie auch in Aventurien unpassend. Zumal die eh nie was reißen durften gegen die großen Bösewichter der letzten Jahre, da Helden ja sonst nichts zu tun hätten. Ach so, doch, Helden schikanieren, dafür war die KGIA glaube ich zuständig 😉 Aber ich schweife ab.
Aha, es geht um das Schwert der Charyptoroth, also ein mächtiges Dämonenschwert was im Kosch in einer speziell für solche Artefakte zuständigen Burg gelagert wird. Das soll weg geschafft werden, weil es bereits einmal gestohlen werden sollte. Wohin? Natürlich näher an die Blutige See heran, nach Rommilys. Gute Idee. Dann haben es die Schergen auch nicht so weit bei etwaigen weiteren Diebstahlversuchen.
Der Scherge der Charyptoroth, Darion Paligan weiß natürlich wo das Schwert ist und schicken daher gleich einen ihrer besten Leute. Einen Zauberkönig namens Moruu’daal. Erster WTF-Moment. Ein was? Zauberkönig? Ist das sowas wie ein Atomkraftnazi?
Kopfkino: Ein krakonischer Tiefseeherrscher thront auf einem Feuerball-schleudernden Kraken und kommt mit seiner berittenen Haikavallerie als Begleitschutz den großen Fluß entlang geschippert um ein olles Schwert zu holen…. 😉
Kurze Wiki-Aventuria-Recherche teilt dem Unwissenden mit: Es handelt sich hierbei um eine Reminiszens an einen Antagonisten aus einem uralten DSA-B-Reihe-Abenteuern wo er noch mit dem kreativen Namen Mordor vorkam. Ok, gut zu wissen. Zu der Zeit dieser Trash- äh Oldschool-Abenteuer hat der kleine Herr der Nacht noch im Sandkasten Rollenspiel gespielt. Hatte ebenfalls was oldschooliges. So ganz mit Miniaturen und ohne Plot….Naja, weiter im Text.
Die Helden werden jedenfalls von dem ehemaligen KGIA-Mitarbeiter Drego als falsche Fährte genutzt. Sie sollen ein Duplikat des Schwertes transportieren, als Ablenkung für den Transport des echten Artefakts. Natürlich werden sie nicht informiert. Alte KGIA-Taktik. Schonmal ein schwacher Einstieg der auch noch verdächtig nach Heldenverarsche klingt. Naja, vielleicht kommt da noch was gutes.
Oho, immerhin, die Heldentruppe wird nicht alleine geschickt, sondern bekomt sogar noch eine Hand voll Unterstützer dazu. Natürlich ist darunter sowohl ein Agent Dregos der von dessen Plan weiß, als auch ein Scherge der charyptoiden Bösewichte. Wie gut, dass die immer so viele Agenten haben. Immerhin. Als SL darf ich selbst festlegen, welcher NSC welche Rolle übernimmt. Dazu bekomme ich für alle eine Motivation und mögliche falsche und richtige Verdachtsmomente, falls die SCs sich auf Verräter-Suche machen.
Auf die Sicherung der Kiste wird auch näher eingegangen, diese ist profan, karmal und magisch geschützt und fast nicht zu öffnen, auch regeltechnisch. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob diese Kombi aus Praios-Schutzzeichen und magischer Schließmechanismen sich so gut verträgt, aber Daumen hoch für eine regeltechnische Erläuterung =) Die Kiste soll jedoch von den SCs eh nicht geöffnet werden und die Bösewichte bekommen sie trotzdem auf. Dazu später mehr.
Dann wird im nächsten Absatz die Reiseroute erläutert bzw vorgeschlagen, die Spieler diese planen zu lassen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten und in einem Kasten wird auf fliegende und magische Helden eingegangen, inklusive möglicher Meistermassnahmen. Jaja, diese Hinweise haben auch etwas oldschooliges. Wer erinnert sich nicht an alte Abenteuer in denen gerne vorgeschlagen wurde, Hexen und SCs auf fliegenden Teppichen mit Drachen zu konfrontieren um sie auf den Boden der Tatsachen zu bringen 😉
Hindernisse und Ereignisse
Oh oh, die Hartwurst-Keule winkt. Weil die SCs Inkognito reisen, gibt es natürlich Zöllner und allerhand Adlige, die zufälligerweise mal ihm Aufmerksamkeits-Modus geschaltet sind und mit allerhand Schikanen ankommen um den Weg zu erschweren. Für die Antagonisten gilt dies natürlich nicht, aber dazu später mehr.
Nachblaue Übergriffe
– So nennt sich das Kapitel, in dem die Übergriffe des Atomkraft-Zauberkönigs Mordors äh Moruu’daals beschrieben werden. Auch wieder recht klassisch. Anstatt die SCs mit EINEM geballten Angriff zu überrumpeln und ihnen die Kiste abzunehmen, schicken die Bösen erst Räuber, dann kleine Hindernisse und dann gehen sie zum finalen Angriff über. Natürlich alles schön auf die Reise verteilt. Ist bei alten Eastern-Kampffilmen ja genau so. Da greift auch brav einer nach dem anderen den Protagonisten an. Sonst hätte er ja auch keine Chance 😉
Es wird empfohlen, den Helden hierbei Erfolge zu gönnen, ja sie dürfen sogar selbst Fallen stellen und so dem Gegner auflauern. Super oder? Die Bemühungen sollen Ihnen sogar Zeit erkaufen und so dem Zauberkönig ordentlich Ärger machen. Warum das eigentlich total egal ist, dazu später mehr.
Am Ende gibt es einen finalen Angriff in dem der Atomkraft-Zauberkönig himself kommt um die Kiste zu entwenden. Dazu mobilisiert er alle Kräfte inklusive Freizauberei die dann auch nach Empfehlung des Autors eher cineastisch eingesetzt werden soll als regelorientiert. Ebenfalls schön erzählerisch gibt es auch die Pflichtszene, bei der sowohl der Agent Dregos tödlich verwundet wird durch den Obermotz, als auch das Aufplatzen der Kiste (wir erinnen uns, die KarmalMagischeZwergenschlossgesicherte aus Uran-angereichertem Titanium-gepanzerte-Kiste platzt jetzt im Kampf auf..)
Dabei gibt es zwei Cut-Szenes:
- Bei der ersten bekommen die Helden mit, dass sie das falsche Schwert transportieren und der Zauberkönig sich sofort in Richtung des Originals macht.
- In der zweiten lebt der tödlich verwundete Agent Dregos noch genau so lange, dass er in seinen letzten Atemzügen von der wahren Reiseroute berichten kann. Hach ist das schön dramatisch. Dafür liebe ich DSA und seine Abenteuer. Wo außer bei längst nicht so guten ARD&ZDF-Soaps bekäme ich sonst meine Portion Melodrama her?! 😉
Weil Helden nun mal Helden sind,
machen sie sich auf die Suche nach dem echten Schwert um es zu schützen.
Der Meister sollte jetzt eine spannendes Wettrennen inszenieren, bei dem die Helde dann aber schließlich genau zum Kampf Moru’daals gegen Drego kommen.
Warum soll man dann ein Wettrennen daraus machen? Keine Ahnung, so spielt man vermutlich Partizipationismus. Genauere Angaben zum letzten Kampf werden nicht gemacht, er sollte aber spannend und fordernd sein. Wichtig ist nur: Drego wird gerettet, der Zauberkönig klaut das Schwert und kommt unversehrt davon. Ja. Genau so. Ein guter Zeitpunkt für einen zweiten WTF-Moment.
Der Ausklang
beschreibt dann noch mal die Niederlage der Helden. Eine Belohnung in Form von Dukaten entfällt weil die Helde ja plotbedingt versagt haben. Dafür gibts vom Verräter-Arsch Drego eine Entschuldigung und einen KGIA-Ring. Und die schönen Worte „Dieser Ring mag nicht mehr so viel bdeuten wie einst, doch die sich dem gemeinsamen Ziel verschrieben haben, werden ihn erkennen“. Warum der Ring bzw die KGIA nicht mehr viel Wert ist, haben die Helden durch Führungskräfte wie Drego ja bereits erfahren. Leider fehlt im Abspann die Szene wo die Helden Drego seinen Ring in den Hintern schieben und ihn dann standesrechtlich als Verräter erschlagen. Muss wohl aus Platzgründen entfallen sein.
Im Anhang der letzten 1 1/4 Seiten dann noch mal eine Minimalbeschreibung einiger NSCs, Drego, der Atomkraftzauberkönig Moruu’daal sowie dessen Schergen, eine Handvoll verlauster Piraten sowie fliegende Chimären und ein bisschen Werbung für das Abenteuer Bahamuts Ruf.
Mit zwei WTF-Momenten und vielen Fragen beende ich das Lesen des Szenarios und stelle mir …
…einige Fragen:
(eine Auswahl, da ich mit meinem Beitrag nicht die Länge des Szenarios überschreiten will 😉
- Warum sollte ich das Szenario spielen bzw meinen Mitspielern antun? Warum etwas spielen, bei Anfang und Ende feststeht sowie der Mittelteil nur Schikane enthält?
- Wieso hat man Bahamuts Ruf nicht mit einer Spielhilfe angeteasert? Wenn man gewisse Dinge als Autor als IST-Zustand vorraussetzen möchte um ein Abenteuer vorzubereiten, warum legt man sie dann nicht einfach fest? Wozu ein Szenario?
- Warum schickt man einen übermächtigen, sich Werten und Regeln entziehenden NSC ins Feld, anstatt einen Handlanger der nicht plotgeschützt ist? Einfach nur um den Plot durchzudrücken?
Wie kommt der Atomkraft-Zauberkönig Moruu’daal als charyptoides Wesen unentdeckt und unversehrt mitten ins Mittelreich? Wieso stört das weder Efferd noch den Flussvater, eine Entiität die solche Wesen in seinem Reich nicht gerade begrüßen sollte. - Wie kommen seine Nichtmagischen Handlanger ins Mittelreich? Wir erinnern uns. Wenn es um reisende Helden geht, sind die mittelreichischen Institutionen hellwach. Da gibt es hochmotivierte Zöllner, aktive und pflichtbewusste Adlige und vieles mehr. Und da reist dann eine ganze Schaar dahergelaufener Piraten von irgendwoher an und zieht durch die Lande um die SCs kontinuierlich anzugreifen. Mitten in der Zivilisation. Und plötzlich bekommt es niemand mit? Das Mittelreich ist jetzt nicht gerade der einsamste Flecken von Aventurien.
- Warum darf ein seltsamer unfähiger KGIA-Trottel wie Drego einfach mal eben eins der wertvollsten Beute-Artefakte des Kaiserreichs ungefragt transportieren? Warum wird er nicht selbst überwacht? Warum wird die Feste nicht überwacht? Wieso hat er nur eine Hand voll Leute dabei, die gegen ein paar Piraten und einen charyptopiden Paktierer verlieren?
- Wozu will der Autor in seinem Szenario die Helden bemühen, Zeit zu erkaufen? Der Ausgang steht fest, völlig egal ob die SCs sich gut anstellen oder nicht. Und sowas soll Spielern nicht auffallen? Wozu das Pseudo-Rennen-Gegen die Zeit? Ist das nicht ein uraltes Relikt aus längst vergangenen Partitionismus-Zeiten?
- Warum will der KGIA-Mitarbeiter das Schwert, welches aus der blutigen See stammt, zur Sicherung näher an selbige transportieren? Ist das irgendwie logisch? Warum nicht einfach in der Burg verschanzen und eben die Überwachungsmaßnahmen verbessen?
Wie…wie zur Hölle öffnet sich eine karmal-magisch-zwergenmetall-verpackte Superkiste mitten in einem Kampf? Ist das eine dieser freizauberischen Fingerspielereien des Super-Antagonisten Moo’ruudals? Oder einfach nur eine Szene nach dem Motto: „Das käme doch cineastisch super rüber und muss daher nicht logisch sein“ ?! - Wieso sollten die Helden den ihnen gegenüber verräterischen Drego überhaupt noch vertrauen, geschweige denn, ihn leben lassen? Wie sollen diese Helden jemals in Bahamuts Ruf einzubinden sein? Wie will man die Spieler des Szenarios motivieren, nach so einem Szenario?
- Warum diese kleinen, vorgegebenen Szenen? Warum muss Dregos Scherge tödlich verwundet werden?
- Woher weiß Mooruu’daal von Dregos Route?
- Warum erhalten die SCs einen Siegelring und KEINE Geldbelohnung?
Nach diesem doch recht ausführlichen Fragenkatalog und dem Lesen des Szenarios bin ich verwundert. Wie kann ein so altmodisches, nach strengsten Partizipationismus-Strukturen aufgebautes Abenteuer ein als frei angekündigten Kampagnenband einleiten? Wie soll man Mitspieler motivieren, Bahamuts Ruf überhaupt spielen zu wollen nach dem Szenario? Wäre es nicht besser, es einfach zu ignorieren und lieber direkt zu dem Abenteuer zu greifen? Oder ist Bahamuts Ruf vielleicht gar eine Fortführung des Abenteuers was Stil und Aufbau angeht?
Ich erinnere mich an alte Forenzeiten, an Texte eines Users namens Keideran Labharion, der heftige, aber mMn vollkommenberechtigte Kritik über die Kampagne Jahr des Feuers äußerte. Eine Kampagne in der Helden von A nach B nach C geschickt , von Meisterpersonen verarscht und hintergangen und von unbesiegbaren, übermächtigen Antagonisten besiegt wurden. Und das wieder und wieder. Alles natürlich vor epischer Kulisse und mit schön vielen Setzungen. In seinen Forenbeiträgen nahm sich Keidaran genau diese Dinge vor und zeigte auf, warum sie am Spieltisch weder Spaß machen, noch motivieren, weiter zu spielen. Und genau diese Kritikpunkte, diese fiesen kleinen Elemente kommen in nun in einem Botenszenario vor, das Michael Masberg schreibt um seine kommende Kampagne vorzubereiten?
Irgendwie lässt das keinen guten Schluss zu. Ich hoffe, das es sich bei dem Szenario um eine Schludrigkeit handelt. Darum, dass man lieber etwas irgendwie spielbares als Opener für die Kampagne anbieten wollte, anstatt einer Kurzgeschichte oder einer Mini-Spielhilfe mit Ausblick. Nachvollziehen kann ich das nicht. Aber es wäre zumindestens beruhigend. Denn die Form, die Tidenstieg hier anbietet, hat weder etwas mit einer offenen Kampagne zu tun, noch mit einem zeitgemäßen Szenario. Und erst recht nichts mit einer Ausrichtung, die künftigen DSA-Abenteuern gut tun würde.